Mama zuerst? Wie umgehen mit dem Phänomen „Gatekeeping“

Darum geht’s

Väter sollen und wollen heute mehr familiäres Engagement zeigen und sich bei der Betreuung der Kinder angemessen beteiligen. Was aber hält sie davon ab? Sind die jungen Väter nur zu bequem, sich um ihre Kinder zu kümmern, oder werden sie etwa von den Müttern in den Beruf gedrängt? Lassen es Mütter denn zu, wenn sich ihr Partner gerade im Säuglings- und Kleinkindalter um den Nachwuchs kümmern will? Oder spielen sie vielmehr den ihnen zugeschriebenen „weiblichen“ Kompetenzvorsprung aus?

Gut zu wissen

Das Phänomen „Maternal Gatekeeping“, ein kurzer Erklärfilm:

Wissenschaftlichen Studien zufolge hält bis heute in der häuslichen Gemeinschaft etwa ein Viertel der Mütter den Vater immer noch nachhaltig davon ab, Aufgaben im Bereich der Kinderbetreuung zu übernehmen. Dieses Phänomen wird als „Maternal Gatekeeping“ bezeichnet und ist eine Form des Machtkampfs darüber, wer im erzieherischen Binnenbereich der Familie das Sagen hat.

Gatekeeper bedeutet eigentlich Türsteher oder Pförtner. Gatekeeping meint deshalb alle Aktivitäten, um einen Zugang zu kontrollieren oder einzuschränken, außerdem die Absicht, möglichst sämtliche Regeln zu bestimmen, die im kontrollierten Bereich gelten sollen.

In diesem Zusammenhang bezieht sich Gatekeeping weniger auf sorge- und umgangsrechtliche Auseinandersetzungen, sondern vielmehr auf notwendige Routinen und Entscheidungsprozesse im gemeinsamen häuslichen Alltag.

Dabei bedeutet Maternal Gatekeeping nicht eine Form (überver-) sorgender und (überbe-) schützender mütterlicher Aufsicht, sondern vor allem ein abwehrendes Verhalten gegenüber dem Vater: Die Mutter verweigert ihm im Familienalltag den Zugang zum Kind. Denn sie beansprucht für sich die Deutungs- und Entscheidungsmacht darüber, wie sich die Beziehung zwischen Kind und Vater zu gestalten hat.

In der gesellschaftlichen und fachlichen Diskussion wird allerdings davor gewarnt, Auseinandersetzungen zwischen Vater und Mutter zu schnell mit dem Gatekeeping-Verdacht zu belegen und Mütter pauschal zu diskreditieren. Die spezielle Dynamik, die beim Aushandeln der partnerschaftlichen Verteilung von Erziehungsaufgaben entstehen kann, hat ihre Ursachen in den meisten Fällen auf beiden Seiten.

Bei der Entscheidung, wegen eines Kindes die Berufstätigkeit zu reduzieren, bestehen nach wie vor große Unterschiede zwischen Männern und Frauen, so der 2. Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2017.
Während viele Väter also angeben, dass sie sich mehr Zeit für ihre Familie wünschen und sich an der Erziehung und Betreuung der eigenen Kinder gerne stärker beteiligen würden, tut sich im Familienalltag  jedoch nicht so viel. Vor diesem Hintergrund wird immer wieder beklagt, dass sich Männer zu wenig um Kindererziehung und häusliche Aufgaben kümmern – von Müttern, in Politik und Gesellschaft. Die Zeitverwendungsstudien des Statistischen Bundesamts zeigen, dass da etwas dran ist:

Quelle: DESTATIS 2015

Dass Kinderbetreuung und Hausarbeit zwischen Müttern und Vätern meistens ungleich verteilt sind, hat natürlich vielfältige Ursachen, und zu einem Teil mögen auch die angeführten Gründe gelten. Weit überwiegend hängt dies aber mit einer ungleichen Beteiligung an der Erwerbsarbeit zusammen. Historisch betrachtet verbindet sich mit dem Modell der „Ernährer- oder Versorgungsehe“, dass hauptsächlich der Vater das Geld heimbringt, während die Mutter sich um „den Rest“ kümmert. Die Nachwirkungen dieses Modells spüren wir heute noch deutlich.

Betroffene Mütter zeigten eine überhöhte Identifikation mit der Mutterrolle. Sie definierten sich fast ausschließlich über die eigenen Kinder und hatten häufig zugleich ein Selbstwertthema. Eine Mutter überwacht dann den Zugang zum Kind, zieht vieles an sich und setzt übertrieben hohe Standards für die Erziehung, die der Vater nicht erfüllen kann oder will. Wenn der Vater dennoch etwas tun soll, dann nur nach Anweisung der Mutter bzw. nach dem mütterlichen Vorbild. Dadurch drängt sie ihn vom Kind weg und blockiert seine eigenständige Zuwendung. Wenn Mütter ihre Kinder auf diese Weise nicht loslassen und freigeben, leiden Väter und Kinder darunter. Denn das familiäre Dreieck „Mutter-Vater-Kind“ gilt v.a. dann als entwicklungsfördernd, wenn alle Beteiligten ihre Eigenständigkeit in der Beziehung entwickeln können und wenn der Vater die Mutter nicht einfach kopiert und verdoppelt.

Die aktuelle Studie Väter 2015: Wie aktiv sind sie, wie geht es ihnen und was brauchen sie? des Deutschen Jugendinstituts fasst die wissenschaftlichen Erkenntnisse so zusammen: Mütter wirken sich häufiger positiv-fördernd als negativ-verhindernd auf das Engagement der Väter aus. Engagement der Väter, das eine Entlastung der Mütter bedeutet, führt zu einer höheren Partnerschaftszufriedenheit. Gatekeeping ist demnach kein Phänomen, das gleichsam überall anzutreffen ist.

Nicht jeder Konflikt, nicht jeder Ausspruch wie „Bevor du’s zweimal falsch machst, mach ich’s lieber selbst.“ oder „Lass mal Schatz, ich mach das schon!“ ist also schon ein Beleg für Gatekeeping. Das kann aber als Anlass genommen werden, sich mit der Balance zwischen Erwerbs- und Familienarbeit in der Partnerschaft auseinanderzusetzen und sich über die eigenen väterlichen Wünsche und Bedürfnisse klar zu werden. Dabei führt kein Weg daran vorbei, sich mit der Partnerin zu besprechen und auszutauschen, gegenseitige Erwartungen abzustimmen und Unzufriedenheiten anzugehen. Rückzug dagegen ist keine gute Alternative. Wenn es mittelfristig trotz aller Bemühungen nicht gelingt, in eine Balance zu kommen, sollte mann sich auch nicht scheuen, mit anderen (Vätern, Männern) darüber zu reden und gegebenenfalls eine Beratungseinrichtung (z.B. Väter- oder Männerberatung) aufzusuchen.

Zum Mitdenken und Mitmachen

Die familiäre Aufgabenteilung überdenken:

Bereiche der Auseinandersetzung:

  • Regeln – Welche und wessen Regeln gelten? Wo gelten gemeinsam vereinbarte Regeln – wo die der Mutter bzw. die des Vaters? Oder gibt es ein „Wechselmodell“? (heute ich, morgen du)
  • Ernährung – Wer bestimmt, was auf den Tisch kommt? (Einkaufen, Zubereitung, Tischsitten – wann, was, wie?)
  • Ordnung, Kleidung, Sauberkeit und „Hygiene“ – Wie muss es sein? Wer setzt die Norm?

Über welche Bereiche…

  • bestimme ich?
  • bestimmen wir gemeinsam?
  • bestimmt meine Partnerin?

Unser soziales Netz:

  • Wer führt unseren Familienkalender?
  • Wer pflegt das soziale Netz, wer managt Einladungen und Besuche?
  • Wer denkt an Geburtstage, organisiert Feste, kauft Geschenke, schreibt Glückwunschkarten?

Der nachfolgende Fragebogen kann eine gute Grundlage für ein Gespräch mit der Partnerin sein. Die Beispiele in der linken Spalte sind einem bestimmten Alter zugeordnet. Das heißt aber nicht, dass diese Dinge – altersangemessen und bei Bedarf – nicht auch später noch gemacht werden können und sollen:

Und sonst noch

Info und Ratgeber zum mütterlichen Alleinanspruch auf Fürsorge
Paul liebt seine Tochter Mia und möchte für sie da sein. Doch Paul hat das Gefühl, dass Mias Mutter Sandra ihn nicht so recht lässt. Sie hat das Verlangen, alles selbst zu übernehmen. Schließlich ist sie als Mutter Expertin darin, für Mia zu sorgen. Paul macht in ihren Augen so vieles falsch: Das Essen ist zu heiß, das Getränk zu kalt, die Mütze sitzt zu locker, die Windel zu fest. Sandras hohe Erwartungen erschweren Pauls Anstrengungen, sich als gleichwertige Bezugsperson für Mia zu etablieren. Gleichzeitig belastet die „mütterliche Türsteher-Position“ die Paarbeziehung von Paul und Sandra. Wie gelingt es den beiden, die Situation zu meistern? Durch gemeinsame Gespräche, gegenseitige Wertschätzung und Vertrauen machen Paul und Sandra am Ende des Films die lohnende Erfahrung: Mit zwei Flügeln fliegt es sich besser.

Quelle: vaeter.nrw

Links

Videoclip zum „Maternal Gatekeeping“: Wenn die Mutter den Vater nicht lässt (2016, 04:30)

Außerdem

Auch in den Print- und Online-Ausgaben der Tages- und Wochenzeitungen hat das Thema „Maternal Gatekeeping“ zuletzt seinen Niederschlag gefunden. Wie zu erwarten wird dort kontrovers diskutiert. Die Konfliktlinien verlaufen dabei nicht einfach weiblich-männlich bzw. zwischen Müttern und Vätern – auch Männer sind hier geteilter Meinung, wie übrigens Frauen auch. Dazu ein paar Beispiele:

Artikel auf SZ.de – Wenn 150-Prozent-Mamis die Väter verdrängen
Artikel im Tagesspiegel – Wer zuerst die Windel riecht… Was ist dran am Phänomen „Maternal Gatekeeping“?
Artikel auf FR.de – „Maternal Gatekeeping“ – Mama kann nicht loslassen
Artikel in derFreitag – Diagnose „Maternal Gatekeeping“

Autor: Gunter Neubauer